An einem x-beliebigen Tag
Dieses Mal hatte Marlies über zwei ganze Wochen nichts von Volker gesehen oder gehört. Sie fühlte sich antriebslos und hatte Sehnsucht nach ihm.
Endlich hatte Volker sie heute kontaktiert und zum Essen eingeladen. Es war ein schöner Abend in einem Ausflugslokal gewesen, welcher in seiner Wohnung endete. Jetzt lagen sie erschöpft im Bett und ruhten sich aus.
Aber es gibt ein Problem. Volker lies Marlies mittlerweile komplett aus dem Thema Modefirma raus. Dafür war seine Ex-Freundin Camilla wieder dabei. Unfassbar! Vor allem nachdem er sie doch erneut zum Teufel gejagt hatte. Volker hatte Marlies nur ein Foto gesendet, welches den neusten Entwurf der Schal-Kollektion zeigte und im Hintergrund war Camilla zu erkennen. Auf Nachfrage schrieb er: „Einer muss ja arbeiten, während Du Squash spielst. Du bist mega egoistisch“. Dann war er komplett abgetaucht.
I wanna stay, wanna walk out the door
I can’t get enough, can’t take anymoreRight now, baby I’m torn
I’m torn in between heaven and hell
Ava Max, Torn
Großes Heimkino – schlechte Story Line
Den ganzen Abend hatte Marlies auf die Gelegenheit gewartet das Thema Camilla anzusprechen. Jetzt hatte sie gerade beiläufig gefragt, ob sich Camilla sehr freute, dass sie wieder dabei sei. Das ist der Moment in dem Volker ausflippt.
Wütend springt er aus dem Bett. „Du mit Deiner ewigen Fragerei. Jetzt hast Du uns den schönen Abend kaputt gemacht.“ Marlies hört ihn ins Bad gehen. Dann fällt die Wohnungstür ins Schloss.
Sofort ist Marlies auf den Beinen und läuft nackt auf den Balkon. Direkt vor dem Haus parkt Volkers Motorrad. Schon kommt er aus der Haustür. Sie ruft ihm zu: „Was soll das? Spinnst Du jetzt total?“ Als Antwort schreit er sie an: “Wenn ich zurückkomme, bist Du aus meiner Wohnung verschwunden.“ Ein Satz aus einem schlechten Film und wörtlich gemeint.
Zu ihrer eigenen Überraschung muss Marlies über Volkers theatralischen Abgang schmunzeln. Das war echt arg viel Drama für den Anlass. Lächerlich – und anmaßend. Ärgerlich beschließt sie erst einmal nach Hause zu fahren.
Im Auto sagt sie laut zu sich selbst:
„Marlies, so kann es nicht weiter gehen. Du wirst einen Schlussstrich ziehen. Und zwar noch diese Woche.“
Später in der Nacht textet Volker.


…denn sie wissen nicht, was sie tun…..
Marlies Entschluss steht fest. Sie will sich trennen. Dazu wird sie erst einmal ihre Sachen aus Volkers Wohnung holen. Die Gelegenheit ist günstig. Volker arbeitet heute, und ihre Freundin Gabi hat Zeit mitzukommen. Alleine hätte sie sich das nicht getraut.
Als Gabi und Marlies am frühen Vormittag ankommen, ist sein Auto nicht da. Ein gutes Zeichen. Mit zittriger Hand dreht Marlies den Schlüssel im Schloss herum und stößt die Wohnungstür auf. Eine junge Frau, ca. 25 Jahre mit blondierten, langen Haaren, Typ extra-skinny, sitzt am Esstisch mit einem Cappuccino. Sie schaut von ihrem Handy auf, bleibt aber erstaunlich gelassen. „Hi, ich bin Marlies. Die Ex von Volker. Hast Du hier übernachtet?“ Hat sie. Okay, das wäre geklärt.
Ohne ein weiteres Wort beginnen Gabi und Marlies die Sachen einzupacken. Gabi hatte Volker als ‚unseriös aber faszinierend‚ klassifiziert. Doch nach den neuesten Erzählungen von Marlies, hatte Gabi nun ihr Bild von ihm revidiert und ihre Hilfe angeboten: „Beende es so schnell wie möglich. Jetzt sofort. Er ist krank und es gibt nichts zu gewinnen.“ Und nun waren sie hier.

You’re just like a pill.
Instead of making me better – you keep making me ill.
Pinl, Just liek a pill
Die versteinerte Miene verrät Marlies Anspannung. Sie hat einen Schock und auf Autopilot geschaltet: In das Schlafzimmer gehen, das zerwühlte Bett ignorieren, aus dem Kleiderschrank ihre Anziehsachen nehmen, aus dem Bad das Parfum, die Unterlagen aus dem Schreibtisch. Sie nimmt das Geburtstagsgeschenk für Volker und die Karte („Happy Birthday, Mr. Perfect“) vom Regal. Genau dort legt sie die leere Verpackung des HIV-Tests hin, der im Bad lag. Blondie hatte kurz gefragt, was die beiden Frauen eigentlich machen. Danach sass sie auf dem Balkon und hatte kurz telefoniert.
Marlies zieht die Tür ins Schloss. Nur raus hier! Den Haustürschlüssel nimmt sie wieder mit. Ihren Schreibtisch holt sie ein anderes Mal. Sie steigen ins Auto. Marlies fährt los. Nach gut einem Kilometer hält sie an, macht den Motor aus, steigt aus und geht ein paar Schritte vom Auto weg. Tränen schießen ihr in die Augen. Wut und Schmerz bahnen sich den Weg nach außen. Ein lauter Schrei entweicht ihrer Kehle.
Sie hebt einen Stein auf und schleudert ihn so weit weg wie möglich. „Volker! Du bist so ein verdammtes Arschloch!“
Gewalt ist eine Option aber keine Lösung
Volker schickt mehrere Textnachrichten. Verletzende. Ätzende.


Marlies kann es nicht fassen, dass Volker sie angreift anstatt sich zu entschuldigen. Er verdreht alles. Das ist irre.
In den nächsten Nächte schläft Marlies sehr schlecht. Immer wieder träumt sie davon, wie sie in Volkers Wohnung fährt. Er schläft tief und fest in seinem Schlafzimmer. Leise öffnet sie den Tresor und nimmt seine Waffe. Sie ist geladen. Im Schlafzimmer schiesst sie auf Volker. Drei Schüsse. Alle drei in den Kopf.

Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch, Herr Präsident!“
Joschka Fischer, Zwischenruf im Bundestag, 1984
Der Wege aus einer dysfunktionalen Beziehung
Die Beziehung zwischen Volker und Marlies ist in der Wegwerfphase (bzw. Abschussphase) angekommen. Der Narzisst ist sich sicher, die Oberhand zu haben. Es kommt seltener zu sexuellen Handlungen. Volker kritisiert, verdreht Tatsachen und lügt häufig. Noch kontrolliert er seine Partnerin zwar, geht aber – ohne Schuldgefühle – selbst externe Beziehungen ein. Allerdings braucht er beides: die Geborgenheit einer festen Beziehung und den Kick einer Affäre.
Volker kreist weiterhin um sich selbst, da er nicht in der Lage ist, die Gefühle und Bedürfnisse von Marlies anzuerkennen und angemessen zu beantworten. Der erneute Kontaktabbruch ist dieses Mal deutlich länger und Volker taucht komplett unter. Dieses Verhalten nennt man Ghosting. Es kann Tage, Wochen, Monate und in seltenen Fällen sogar Jahre andauern. Wie beim Silent Treatment kommt es zu einer starken Verunsicherung des Partners und stellt einen emotionalen Missbrauchs dar.
Um sich dagegen zu wehren, fehlt es Marlies an Kraft. Sie fühlt sich emotional erschöpft. Im Verlauf der Beziehung wird sie schwächer und energieloser werden, da sie nur am Geben ist, aber nicht genügend zurückbekommt. Noch tut Marlies ALLES, um der Kaltphase zu entkommen und dafür, dass Volker bei ihr bleibt.
Die typischen Beziehungsphasen mit einem narzisstischen Partner
Durch ihr Verhalten sorgt Marlies dafür, dass der toxische Kreislauf immer wieder von vorne beginnt. Immer schneller folgen die Phasen aufeinander. Sie ist ein Teil der Dysfunktionalität.

Volker hat eine weitere bzw. neue „Quelle“, um seinen Hunger nach Bewunderung und Zuneigung zu stillen. Ob diese Quelle allerdings genügend, muss er erst in einer Art Testphase herausfinden.
Narzissten sind zwar ich-bezogene Menschen mit einem vordergründig sehr stark ausgeprägtem Selbstbewusstsein, dem gegenüber steht jedoch eine tiefe innere Verunsicherung. In diesem Spannungsfeld agiert der Narzisst, der weder sich selber noch jemand anderen lieben kann. Volker fällt es daher nicht schwer Marlies zurückzulassen.
Lesen wie es weiter geht …