You and Me Psychology

Traumhafte Leiden-Schaft

Liebe im Schnellverfahren

Schon von Weitem sah Marlies den weißen Zettel unter dem Scheibenwischer auf ihrer Frontscheibe klemmen. „Verdammt, sicher war jemand gegen mein nagelneues Auto gefahren.“ Wütend blitzen ihre blauen Augen, und ihr blonder Pferdeschwanz wippt energisch bei jedem Schritt. Extra hatte sie am Squash-Center weit weg vom Halleneingang entfernt geparkt. Sie las.


 „Liebe Unbekannte mit den langen, schlanken Beinen. 
Ich habe Dich schon ein paar Mal gesehen und Du hast

wieder so lieb gegrüßt.
Unter folgender Nummer ..... kannst Du mich erreichen,
falls wir uns mal wieder anlächeln möchten.“

Am Ende des Textes stand eine Mobilnummer. Kein Name. Das war eine nette Überraschung anstelle eines Kratzers im Lack.

Es ist ein Monat später. „Du hast exakt eine Stunde Zeit, um hier aufzutauchen!“ So lautet die klare Ansage am Telefon. „Dein Glas Rotwein steht hier.“ Damit beendet Volker das Telefonat. Der neue Mann an Marlies Seite klingt verärgert. So kannte sie ihren Charmeur bisher gar nicht. Ohne Zögern setzt sich Marlies in ihr Auto, um die 20 Kilometer bis zu Volkers Wohnort schnell hinter sich zu bringen. Sie ist nervös. ‚Was ist passiert?‘

Die letzten 4 Wochen mit Volker waren aufregend gewesen. Obwohl Marlies keinen Bedarf an männlichem Unsinn hatte. Ihre Ehe war gescheitert und die Männer in ihrem Umfeld fand sie allesamt anstrengend. Der Zettel am Auto aber hatte sie neugierig gemacht. Sie wollten den unbekannten Bewunderer vom Squash-Parkplatz auf einen Kaffee treffen und ihn danach in die Wüste schicken.

Schaumbad mit Liebesperlen

Volker bestand auf ein Abendessen beim Italiener. Er hatte sehr gute Manieren, war galant und erzählte überaus unterhaltsam viel über sich. Auch von schweren Zeiten berichtete er, die durch äußere Umstände und neidvolle Angestellte über ihn gekommen waren. Es war ein wunderbar fröhlicher Abend gewesen. Als Marlies sich später auf den Heimweg machte, war sie von Volker begeistert. Sie wollte ihn möglichst bald wieder treffen.

In den darauffolgenden Tagen und Wochen liess sich Marlies einfach mitreißen. ‚Was habe ich schon zu verlieren?‘, denkt sie sich. Die Zeit vergeht wie im Rausch. Volker nimmt sich viel Zeit für gemeinsame Aktivitäten. Sie essen in teuren Restaurants, Marlies bekommt Blumen und kleine Geschenke. Sie lernt seine Mutter kennen, bekommt seinen Wohnungsschlüssel und er vertraut ihr die Safe-Kombination an. Er sagt: „Es ist fast unheimlich, wie vertraut wir miteinander sind. Es kommt mir vor, als ob wir uns schon ewig kennen würden.“ Volker ist auf eine Art kindlich und abenteuerlustig, dabei gleichzeitig so wunderbar männlich und stark. Marlies denkt: ‚Es ist unfassbar, dass jemand wie Volker mich so vergöttert. Das ist der absolute Volltreffer.‘

Nur manchmal ist es ihr zu viel mit der Euphorie: zu viele Liebesschwüre, zu viel Wertschätzung, zu viel intensiver Sex und zu viele konkrete Zukunftspläne. Aber egal. Sie schiebt das seltsame Gefühl beiseite. Er liebt sie abgöttisch. Sie ist glücklicher mit ihm als ohne ihn. Ihre Freundin Gabi ist auch begeistert von Volker: „Wenn es sich gut anfühlt – einfach machen! Genieße es.“

At first you put your arms around me
Then you put your charms around me
I can’t resist this sweet surrender

CHAKA KAHN & RUFUS, AIN’T NOBODY

Endlich hat Marlies die 20 Kilometer hinter sich gebracht. In seiner Wohnung ist er nicht. Im Eingang steht eine Tüte. Volker all ihre privaten Sachen eingesammelt und hineingetan. Denk mal nach!, steht auf dem beiliegenden Zettel. Sie findet Volker in seinem Stamm-Lokal. „Das hat ja gedauert.“ Volker bleibt sitzen und weist ihr per Handzeichen einen Platz zu.

Dann konfrontiert er Marlies mit Vorwürfen. Sie würde es vorziehen, sich um den Hund und ihre Tochter zu kümmern, anstatt um ihn. „Du musst endlich Deine Prioritäten richtig aufstellen. Willst Du mit mir eine Modemarke aufbauen und in die Schweiz ziehen oder lieber hier versauern? Du übernachtest jede Nacht zu Hause. Wenn Du nicht das Gleiche für mich empfindest wie ich für Dich, dann ist es hier und jetzt zu Ende.“

Marlies ist schockiert. Sie hatte Volker in der letzten Woche telefonisch überhaupt nicht erreichen können. Es gab nur Textnachrichten wie: Ist derzeit sehr viel Arbeit, Melde mich später, Schaffe es heute nicht. Das ging so seit dem Geburtstag ihrer Tochter. Marlies Mutter war eigens dafür angereist. Sie waren zu dritt Essen gewesen. Ohne Volker – das war noch alles zu frisch mit ihm.

Marlies rechtfertigt sich und will Volker ihre Sicht erklären. Egal was sie sagt, er findet es lächerlich. „Du warst nicht erreichbar“, sagt Marlies. Er antwortet ihr verärgert: „Was sollen die blöden Vorhaltungen?“

Marlies bricht schließlich in Tränen aus. Gönnerhaft hebt Volker sein Rotwein-Glas: “Das war Dein Hallo-Wach-Ruf. Lass uns gehen.“ Gehorsam folgt Marlies ihm in seine Wohnung. Er drückt sie auf den Esstisch und fällt über sie her. „Ich hab Dich so vermisst, Marlies.“ Stunden später schickt Volker sie für den Rest der Nacht nach Hause. Marlies beschließt ihre Prioritäten zu überdenken.

Sicher eingewickelt in das Netz der Beziehung

Ein Herz aus Stacheldraht mit einem Spinnenweben

Die ersten Wochen in einer Beziehung sind oft höchst berauschend und eher harmonisch. So erlebt es auch Marlies. Volker erscheint zunächst als der ultimative Traummann. Sie fühlt sich wie die Prinzessin in einem Märchen. Es werden sehr schnell Luftschlösser für eine gemeinsamen Zukunft gebaut. Dies ist typisch für den Anfang einer Beziehung mit einem narzisstisch veranlagten Partner. In der sog. Illusionsphase wird das Opfer in den 7. Himmel gehoben und seine Schönheit, Klugheit und Beliebtheit über alle Maßen gepriesen.

Ist Volker narzisstisch veranlagt? Hat er den Bereich des ‚Normalen‘ verlassen, und es liegt bereits eine Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) vor? Es gibt in der klinischen Psychiatrie entsprechende Diagnoseverfahren um dies genau feststellen. Hier betrachten wir zunächst folgende Anzeichen:

Glaube an die eigene Grandiosität
unstillbares Bedürfnis nach Bewunderung
Mangel an Empathie.

Volkers Werbungsverhalten ist sehr intensiv und kann in der hier vorliegenden Erzählung eindeutig als Love Bombing klassifiziert werden. Die Bombardierung bzw. Überschütten des neuen Partners mit ausgiebiger Zuneigung ist die Belohnung im Austausch gegen die gewährte Zuneigung und Aufmerksamkeit.

Marlies empfindet dies als schmeichelhaft, beginnt Volker zu glauben und lässt sich schließlich fallen. Sie hört nicht auf ihre innere Stimme, die den Zustand teilweise als belastend empfindet. Es sind aber die ersten Anzeichen einer dysfunktionalen Beziehung.

Trau – schau – wem! Techniken der Manipulation

Einige Aspekte der neuen Beziehung hätten Marlies stutzig machen können. So ist aus unerklärbaren Gründen der Traummann nicht in festen Händen und ihr direkt vor die Füße gefallen. Die idealisierende Wertschätzung ihrer Person ist übertrieben überschwänglich, die Liebesgeständnisse und die konkreten Zukunftspläne verfrüht. Die enorme Schnelligkeit, mit der die Beziehung sich entwickelt, wird als Fast Forwarding, als schnelles Vorspulen, bezeichnet. Die Partnerin soll sich möglichst bald in der Beziehung gebunden fühlen. Love Bombing und Fast Forwarding sind Manipulationstechniken im Rahmen von emotionalem Missbrauch.

Hinzu kommt das Verlangen des Narzissten auf ausgesprochen viel Zweisamkeit. In einer dysfunktionalen Beziehung werden äußerer Einflüsse durch den Narzissten absichtlich negiert. Es soll kein Raum für Familie, Freunde oder Hobbys bleiben. Ziel ist die Kontrolle der neuen Partnerin.

Ein Narzisst empfindet es als schmerzhafte Zurückweisung, sobald die Aufmerksamkeit von ihm abgelenkt wird. Dies ist die Folge der tiefsitzenden Verunsicherung, die dem Narzissten meist in der Kindheit zugefügt wurde. Der Hang zur Grandiosität kann bedingt sein durch das Bedürfnis sich nie wieder als der Kleinste und Unbedeutendste zu fühlen.

Marlies wurde durch den Besuch der Mutter und den Geburtstag der Tochter von Volker abgelenkt. Sie verbringt weniger Zeit mit ihm. Daraufhin bestraft er sie mit Silent Treatment. Volker zieht sich zunächst ohne Erklärung aus der Kommunikation mit Marlies zurück. Damit will er vermehrt Aufmerksamkeit generieren. Jeder Kontaktversuch durch Marlies tut Volker gut und bestätigen den Erfolg seiner Strategie. Diese Taktik der Kommunikationsverweigerung kann bei den Opfern zu schweren Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken führen.

Er bestimmt wann, wie und wo es wieder zu einem erneuten Kontakt kommt. In dem Treffen demonstriert Volker massiv seine Vorrangstellung. Er fordert von Marlies, sich seinen Wünschen unter zuordnen. Er verdreht die Tatsachen, indem er sie beschuldigt, ihn nicht genug zu lieben. Marlies trägt aus seiner Sicht die Alleinschuld an der Situation. Sein Vorgehen führt zum gewünschten Ergebnis, denn Marlies will ihre Prioritäten überdenken. Ihr Selbstbewusstsein sowie ihre psychische Stabilität leiden bereits an dieser Stelle.

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