Auf und nieder (n)immer wieder

„Etwas solltest Du wissen.“, sagt Anna, eine langjährige Freundin von Volker, zu der verzweifelten Marlies. „Volker ist immer gut zu haben, solange Du tust, was er will. Aber Du musst damit leben, dass es immer andere Frauen neben Dir geben wird. Er ist kein Mann, mit dem man sich eine Zukunft aufbaut. Genieße es, solange es Dir Spaß macht, und suche Dir einen anderen.“ Jeder dieser Sätze trifft Marlies wie ein Peitschenschlag. Innerlich zuckt sie zusammen und hat es im Grunde bereits gewusst. Laut ausgesprochen verwandeln sich ihre Vermutungen in die knallharte Realität.

Vor Jahren war Anna selbst einmal mit Volker liiert. Sie weiß genau wer er ist – und immer sein wird. Wenn jemand Bescheid weiss, dann sie. Die klare Ansage ist eine große Hilfe für Marlies, die schon langsam an sich selbst gezweifelt hatte. Annas Aussagen sollen sich in großen Buchstaben in Marlies Herz brennen. Marlies Herz hatte in der letzten Zeit viel zu oft ihren Verstand verraten, geknebelt und betäubt.

Mehrmals war es eigentlich schon vorbei in den letzten sechs Monaten, aber Marlies hatte sich immer wieder auf ihn eingelassen. Immer wieder war sie überglücklich, bei ihm zu sein … bis zum nächsten Abschuss. Noch nie hatte Marlies solchen Liebeskummer verspürt. Wieso hat sie sich in einen solchen Dreckskerl verliebt? Und wie ent-liebt man sich schnellstmöglich? Keine Antworten, nur die Erkenntnis: Der Typ ist krank. Diagnose: Er ist ein Narzisst. Im Internet liest Marlies viele Berichte darüber. Ihre tägliche Realität steht dort beschrieben.

Es gibt nur einen Ausweg: Trennung. Marlies will Volker dazu bringen, sich von ihr zu trennen. Wenn er genug hat und vor allem, wenn er einen Ersatz für sie hat, dann wird er sie gehen lassen. Soweit die Theorie.

In letzten drei Wochen hatten sie sich nicht gesehen, nur ab und zu getextet. Marlies spürt, dass es sich besser anfühlt, wenn sie Volker nicht trifft. Er fehlt ihr, aber dennoch: zu groß ist die Angst wieder verletzt zu werden. ‚Sein Charme wirkt nur, wenn ich bei ihm bin‘, denkt sie. Die komplette Beziehung mit Volker hatte sich über die Zeit zu einem kräftezehrenden Alptraum entwickelt.

Marlies sucht verzweifelt nach der Kraft das Richtige zu tun. Es hilft schon mal, alles ihren Freundinnen zu erzählen. Der Termin gestern beim Psychotherapeuten war besonders hilfreich. Er hatte schon viele Fälle wie Marlies bei sich in der Praxis. Sie will nicht so enden wie die anderen!

Eines Tages kommt eine Textnachricht von Volker. Marlies ignoriert sie. Später in der Nacht kommt noch eine.

Beziehung Reloaded? Nein, danke!

Eine Woche kommt Volker mit einem wirklich verlockendem Angebot. Er schlägt vor, dass Marlies einen bezahlten Job in seiner Modefirma bekommt. Mit Vertrag und Gehalt etc. Marlies steht ohne geregeltes Einkommen da. Wäre das eine Zwischenlösung?

Gabi ist mehr als entsetzt und schimpft mit ihrer Freundin: „Was bitte, willst Du hier wem beweisen?“ Marlies weiß genau, dass ein Treffen mit Volker schlimmstenfalls eine weitere Runde im Teufelsrad bedeuten könnte. Aber es wäre auch ein guter Test für ihre Stärke. „Ich will mir selbst beweisen dass ich stärker bin als er denkt. Ich muss meine Selbstachtung wieder finden. Ich will erhobenen Hauptes aus der Geschichte rauskommen.“ Gabi ist nicht überzeugt. Sie rät ihr dringend davon ab.

Trotzdem verabredet sich Marlies mit Volker für das Wochenende. Sie will nicht mit ihm abends essen gehen, stattdessen einen Tagesausflug machen. Das ist ihm auch recht. Er sagt, dass er sich sehr darauf freue sie wieder zu sehen.

Am Abend vorher kommt eine Email von Volker. Ein ausführliches Erklärungsschreiben über zwei Seiten. Vorab wolle er ein Thema klären, damit Marlies nicht wieder anfangen würde zu weinen. Die Quintessenz lautet, dass er noch super in Marlies verliebt sei, aber den Sex mit ihr nicht mehr so prickelnd findet. Sie hätte ihm anfangs glauben lassen, dass sie für alle sexuellen Eskapaden bereit sei. Sie hätte ihn angelogen. Er will nun nur Freund sein mit ihr – oder Arbeitgeber. Er würde verstehen, wenn sie keine Lust mehr hätte sich morgen zu treffen.

Marlies muss laut lachen. Sie lacht, weil sie die ausführlichen Begründen so albern findet. Sie lacht, weil diese ganze verquere Sichtweisen von Volker jetzt in einem Brief vor ihr liegen,. Sie lacht, weil er sie nun endlich gehen lässt. Sie lacht, weil sie so erleichtert ist. Es ist geschafft. Sie schreibt einen Text an Volker: ‚Ist okay. Tschüss.‘

Marlies holt später noch ihren Schreibtisch aus Volkers Wohnung. Den Wohnungsschlüssel legt sie auf seinen Esstisch. Dieser Tisch – was der alles erzählen könnte.

Das war es. Marlies ist raus.

Marlies hat ein paar Runden im Beziehungsrad gedreht und hat folglich die unterschiedlichen Phasen einer narzisstischen Beziehung mehrfach erlebt. Am Ende stand bisher jedes Mal eine Wiederholung an. Offensichtlich hat sie Volker aber nie gesagt, dass sie sich trennen will und hofft darauf, dass es einfach aufhört.

Die Beziehung zwischen Marlies und Volker befindet sich im Status der Wegwerfphase ohne anschließende Wiederholung.

Will sich das Opfer aus der Beziehung lösen, kann es zu bizarren Situationen kommen. Er erwartet eventuell eine Art Einverständnis durch den Narzissten zu ‚gehen‘. Der Narzisst wiederum würde nie zeigen, wie sehr er getroffen ist. Aber in unserem Fall hat Marlies Volker nicht offen gesagt, dass sie sich trennen will.

Und tatsächlich schafft sie es, den toxischen Kreislauf zu unterbrechen und aus der dysfunktionalen Beziehung mit Volker auszusteigen. Folgende Randbedingungen waren günstig:

Volker hatte bereits ein neues Opfer gefunden

Der Einfluss auf Marlies war stark gesunken, da seine Grundbedürfnisse an Aufmerksamkeit und Bewunderung jemand anderes deckte. Es kann sein, dass er auf eine ehemalige Partnerin zurückgegriffen hat. Wir erinnern uns an Camilla. Auch Anna ist eine Ehemalige. Sie scheint als Freundin nützlich zu sein. Es besteht ein gewisser Grad an emotionaler Abhängigkeit zu ihm. Sie weiss über die verheerenden Auswirkungen von Volkers Beziehungsstil (Stichwort Recycler) Bescheid, doch lässt sie ihn nicht fallen.

Marlies hatte sich Unterstützung gesucht

Auch Marlies hat ihren Anteil an der günstigen Ausgangslage. Sie hat sich Unterstützung bei ihrer Freundin geholt, die offenbar weiterhin zu ihr hält. Und sie war bei einem Therapeuten. Es ist ein ungemein wichtiger Schritt, das geschwächte Selbstbewusstsein wieder zu stärken.

Volker versucht zunächst mit Marlies weiter Kontakt zu halten. Er will sie nicht einfach gehen lassen, sondern ködert sie, indem er sie eifersüchtig machen will (Single-Platform etc.) oder ihr eine berufliche Zukunft aufmalt. Sein Ziel ist es, Marlies weiterhin in seiner Nähe zu behalten, um sie ggf. noch umzustimmen. Diese manipulierende Technik nennt man Hoovering. Manchmal können Narzissten sehr beharrlich und ausdauernd sein und nach Jahren der Funkstille nochmals bei dem ehemaligen Opfer anklopfen.